Projekt: Trans Mongolia 2022
Vor dem Start: Feuer und Flamme
Der Empfang von Guido Kunze und seiner Familie in Ulaanbaatar, der mongolischen Hauptstadt, war überaus herzlich. Alle sind Feuer und Flamme für das Projekt, mit der Durchquerung der Mongolei – über 2500 Kilometer von der russischen bis zur chinesischen Grenze – ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Dementsprechend ist die Unterstützung fast schon grenzenlos. Eine letzte komfortable Nacht im Kempinski-Hotel täuschte aber nicht darüber hinweg, was die nächsten Tage auf dem Programm steht. Kaum Schlaf und ewig lange, anstrengende Tage. Mit zwei Transportern und einem Reisebus brach die 13-köpfige Crew schließlich Richtung russischer Grenze auf – 1500 Kilometer auf teils extrem ruppigen Straßen. Punkt 17 Uhr brach Guido schließlich am 4. August zu seinem Mongolei-Abenteuer auf. Unter den begeisterten Blicken von gut gelaunten Grenzbeamten. Und das bestätigte das, was Guido schon auf der Anfahrt erlebt hat – unter anderem bei einem Besuch von Nomaden in einer Jurte und bei einer Farmer-Familie: die Herzlichkeit und Gastfreundschaft hier kennt keine Grenzen.
Tag 1: Es läuft gut. Eigentlich
Guido ist froh, dass es endlich losgeht. Zwar erwischt ihn gleich zu Beginn einer der berüchtigten heftigen Regenschauer des mongolischen Sommers – doch ansonsten läuft es wie geschmiert. Es wird extrem windig – aber es bläst von hinten und das verleiht Guido die ersten Stunden ordentlich Schub. Doch in der Nacht dreht der Wind, was die Durchschnittsgeschwindigkeit ordentlich wieder drückt. Aber Guido kämpft sich mit all seiner Routine durch. Fährt so präzise wie ein Uhrwerk und macht seine regelmäßigen und kurzen Pausen wie geplant. Die erste Nacht fährt er komplett durch – und als es wieder hell wird kann er die atemberaubende Weite der Landschaft genießen. Bei der Mittagspause kommt er sogar in Kontakt mit einer mongolischen Tradition. Eine Frau segnet seine Reifen mit Milch. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Doch am späten Nachmittag kommt die erste Hiobsbotschaft. Guido hat Magen-Darm-Probleme. Muss sich heftig übergeben. Nach knapp 30 Stunden und 606 Kilometern steigt er entkräftet vom Rad. „Ich fahr heute keinen Meter mehr“, sagt er, bevor er direkt ins Bett fällt. Wie es morgen weitergeht? Das weiß im Moment noch niemand.
Tag 2: Fast schon ein Ruhetag
Am Morgen von Tag zwei die Erleichterung: Guidos Magen hat sich über Nacht erholt. Zumindest so, dass er sein Projekt Mongolei-Weltrekord fortsetzen konnte. Zwar kann er noch nicht wirklich viel essen, aber das, was er zu sich nimmt, bleibt wenigstens drin. Nach dem Höllenritt von 600 Kilometern am Stück gönnte er sich fast so etwas wie einen Ruhetag. Allerdings ging’s das erste Mal in die Berge. Landschaftliche Abwechslung einerseits. Kräftezehrend andererseits. Aber Guido weiß mit Krisen umzugehen. „Nur“ rund 200 Kilometer, immerhin sieben Stunden Schlaf und wieder früh ins Bett war seine Strategie um durchzuhalten. Auch weil morgen die Berge länger und steiler werden. Und er dankbar sein wird, mit dem Ghost Lector ein Mountainbike als Gefährt gewählt zu haben.
Tag 3: Im Gravel-Fieber
Eigentlich sind die Straßen in der Mongolei bislang besser als gedacht. Aber sobald es bergauf geht, hört hier der Asphalt auf. Loser Schotter mit üblen Schlaglöchern – teilweise so steil, dass Autofahrer vermeiden müssen anzuhalten. Wieder anzufahren wäre an vielen Stellen schlicht unmöglich. Guido hat da schon das bessere Gefährt. Federgabel und Shimanos neue XTR mit bergtauglicher Übersetzung lassen ihn förmlich über die Berge spazieren. Und es ist unglaublich. Selbst nach drei Tagen Strapazen hat Guido immer ein Lächeln im Gesicht. Ist zu allen um ihn herum freundlich. Und steigt bestens gelaunt vom Rad, um sich wie in Arkhangai aimag tsetserleg khot empfangen zu lassen. Dass ihn das eigentlich wertvolle Zeit für den Weltrekord kostet, stört ihn nicht weiter. „Das hole ich unterwegs schon wieder rein“, sagt er frohen Mutes und nimmt die restlichen der heutigen 350 Kilometer in Angriff.
Tag 4: Großer Bahnhof in Ulaanbaatar
Es ist unglaublich: Guido sind die Strapazen nur selten wirklich anzumerken. Und er sitzt alles andere als stur auf dem Rad. „Du musst mal Deine Tür fetten“, sagte er lächelnd zum Fahrer eines der Begleitfahrzeuge und holte schnell sein Öl aus seiner Werkzeugtasche. Siehe da: die Tür lief plötzlich wieder wie geschmiert. Was aber an Tag 4 viel wichtiger war: Guido wird im ganzen Land getragen von einer Woge der Begeisterung. Fernsehsender berichten, Menschen jubeln ihm zu. Und nach rund 1500 Kilometern Strecke wartete auf ihn ein riesiger Empfang in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar. Hochrangige Politiker, Botschafter und Funktionäre empfingen Guido, der von der Polizei eskortiert, im Stadtzentrum eintraf. Und sie gratulierten ihm so, als hätte er es fast schon geschafft. Aber es sind noch mehr als 500 Kilometer ...
Tag 5: Der letzte Husarenritt
Guidos großes Ziel war immer, weniger als sechs Tage zu brauchen, um im Ziel in Baruun-Urt anzukommen. Zwar sind es von dort aus noch gut 250 Kilometer bis zur chinesischen Grenze – aber es gibt bis dahin nichts, was man noch annähernd als Straße bezeichnen könnte. Deswegen endete Guidos Tour nach 5 Tagen, 21 Stunden und 59 Minuten im Osten der Mongolei. Dazu fuhr Guido die letzte Nacht einfach nochmal durch. Zwischendurch war er zwar so fertig, dass er fast nicht mehr wusste, wo er war. Aber am Schluss kehrte das Guido-typische grinsen wieder in sein Gesicht zurück. „Lass uns mal die letzten 20 Kilometer so richtig genießen“, sagte er, als er begleitet von mongolischen Nachwuchsfahrern das Ziel vor Augen hatte. Glücklich fiel er allen Begleitern und vor allem seiner Familie um den Hals. Und sein ältester Sohn Marvin sagte beim Umarmen lapidar: „Also dann bis zum nächsten Projekt.“