Guido und sein Team sind nach der Höhenakklimatisierung wohlbehalten an der Pazifikküste, im Stranddorf Bahía Inglesa zurück. Alle sind nervös, weil es am 14. Oktober losgehen soll, 09:00 Uhr Ortszeit, 15:00 Uhr MESZ. Wie anspruchsvoll das alles wird, erkennt man an dem Respekt, der Guido anzumerken ist. Wie bei jedem Radrennen, könnte man sagen, geht es zunächst auf Erkundung. Die Streckenerkundung hat ihn und seine Begleiter auf bislang gut 6100 m Meereshöhe gebracht. Unter Schaufeln, mal von Schnee, mal von Sand, um das Auto freizukriegen, in die Nordflanke des Ojos del Salado. 

„Wir hatten viel Spaß bei der Akklimatisierung“, heißt es dazu von Guido, „selbst wenn Jan auch bei seinem fahrerischen Können bei den so steilen Ansteigen einfach das Auto nicht immer vor dem Absaufen retten kann.“ Zusätzliches Ausdauertraining nennt er das. Aber am Tag vor dem Start stellt er auch klar: „Jetzt melde ich mich erst wieder, wenn alles rum ist und ich Sieg oder Niederlage melden kann.” Im Klartext: Lasst mich erst mal in Ruhe; das wird heftig. 

Der Mühlhäuser strahlt die Zuversicht aus, die sein Markenzeichen ist, weiß und vermittelt, dass er alles im Griff hat, was er im Griff haben kann („Natürlich hatten wir da oben Kopfschmerzen, aber das hatte uns Urs Hefti bei unserer höhenmedizinischen Vorbereitung in der Schweiz ja prophezeit.“), dass er voll auf das Material vertrauen kann („Ich bin beim dem feinen Sand heilfroh, dass ich die fetten Reifen gewählt habe, denn wenn mir Ghost das Rad nicht auf den Körper geschraubt hätte, wäre das hier dreifach schwierig bis unmöglich.“), dass ein flotter Spruch die Anspannung vorübergehend nimmt („Seht Ihr, weil wir hier auf der Pick-up-Ladefläche bei minus 5 frühstücken, ist Primus als Partner mit an Bord; die kennen sich mit Outdoor aus.“). Aber genauso wie der Ojos del Salado über der Hochebene thront, dominiert die Anspannung inzwischen – flotte Sprüche hin oder her – doch alles und alle. 


Foto: (c) von Christian Habel 

Auf 6130 m war die Mannschaft rd. 50 Meter höher als es André Hauschke im April 2010 geschafft hatte, 6085 m. Höher ist keiner aus eigener Muskelkraft auf dem Rad je gekommen. Und auf 6130 m wurde klarer, was er geleistet hatte. „Den meisten Respekt habe ich vor der dünnen Luft“, sagt Guido. Dabei ist das nur das Hauptproblem auf seinem Weg von Bahía Inglesa, 0 m, auf bis 6891 m, falls er wirklich bis zum Gipfel vorstößt. Wind, bis 100 km/h während der Erkundung, kann, wenn er in die falsche Richtung weht, alles zunichte machen. Und Wind gibt's immer. Nur die Stärke variiert. Die Sonne merkt man kaum als Wärme, des Windes wegen, aber den Sonnenbrand hat man, weil sie in der Vegetationslosigkeit erbarmungslos von Fels und Sand reflektiert wird, dann trotzdem, wenn man nicht aufpasst. Und ein starker Sonnenbrand ist nichts für rundes Treten am Pedal. 

Und rundes Treten dürfte sowieso kaum machbar sein. Alle, der Athlet eingeschlossen, bewegten sich nur noch langsam im Akklimatisierungsbiwak auf 5800 m. „An Durchtreten ist nicht zu denken“, stellte Guido schon fest. „Dazu ist einfach die Luft zu dünn.“ Bis gegen 4000 m, vielleicht noch etwas höher, dürfte er noch im normalen Rhythmus durchkommen, schätzt er, wenn er auch das Gefühl haben wird, jeder Kilometer ist doppelt so lang. Als Fahrtaktik hat er sich zurecht gelegt – gerade weil manche Steilstelle auch auf 1000 oder 2000 Meter kaum anders zu bewältigen wäre –, mit kurzen Antritten Weg zurückzulegen, in der Hoffnung, kurz, aber ausreichend Ruhe zu finden, um den nächsten Antritt zu setzen. 

„Ich hoffe nur, es weht den Weg nicht so sehr zu, bis wir wieder oben sind. Sonst säuft wieder das Fahrzeug in Sand oder Schnee ab. Und dann muss die Mannschaft mich aus dem Rucksack zu Fuß verpflegen, und das will ich dann doch nicht.“ Noch ein flotter Spruch. Aber mit einem wahren Kern. Es ist schon schwer genug auf 6000 m hinaufzuradeln. Wenn es wirklich der Gipfel wird, sind das aber noch fast 900 Höhenmeter mehr. Damit das klappen kann, muss alles funktionieren. 

Und Guido meldet sich erst wieder, wenn er weiß, ob es das hat. Der Chronist hofft, sich häufiger melden zu können, mit Eindrücken der Begleiter. Denn es scheint, am besten ist es, Guido lassen wir für's erste in Ruhe. Das wird heftig. 

Hasta la próxima.

Texte (c) Guido Kunze und Marco Rühl